Sektionsredner
Dr. Matthias Wille (Köln) - Curriculum Vitae
Die transzendentale Wende als Abkehr von wissenstranszendenten Realismen
Abstract
Ausgehend von der Frage, was „transzendentaler Idealismus“ heute bedeuten sollte, wird kurz ausgeführt, dass vielen modernen (nicht-exegetischen) Kantdeutungen ein fehlerhaftes Verständnis dessen zugrunde liegt, was „Idealismus“ als erkenntnistheoretische Position nach dem linguistic turn bedeuten sollte. Statt über Anschauungsformen, anthropozentrische Modelle, eine „supersensible reality“ oder eine mentalistisch geladene Terminologie zu sprechen, wird die transzendentale Wende hier als der Versuch verstanden, sich von wissenstranszendenten Begründungsprinzipien in der Erkenntnistheorie (so etwa gehaltsexternalistischen Brückenprinzipien) zu verabschieden, um mit dem einzig verfügbaren „within view“ die erkenntnistheoretischen Fragen zu beantworten. Das macht schließlich auch verständlich, warum Kant etwa in den "Losen Blättern zu den Fortschritten der Metaphysik" davon spricht, dass (GS XX, S.335): „alle Philosophien im Wesentlichen nicht unterschieden [sind] bis auf die critische.“ Das einigende Band der Gegner Kants ist damit weder der Skeptizismus noch der Empirismus, sondern die Akzeptanz und Inanspruchnahme wissenstranszendenter Begründungsmittel, die für einen Leibniz oder Descartes genauso manifest gemacht werden können wie für einen Locke oder Berkeley.
Unter Verwendung prominenter Beschreibungsmittel (etwa John McDowell’s „sideways on view“) wird ausgeführt, dass Kants transzendentaler Idealismus (im Unterschied zu allen vorkantischen Erkenntnistheorien) als semantischer Antirealismus in Bezug auf eine ganz bestimmte Klasse philosophischer Aussagen verstanden werden sollte. Mit Rückgriff auf Klassifikationsmittel von Neil Tennant wird erläutert, dass Ermöglichungsbedingungen und Aussagen über die präformierten Strukturmerkmale der Erfahrungswirklichkeit als wissbare Existenzaussagen zu verstehen sind, für deren Begründung nun gerade keine wissenstranszendenten Wahrheiten (wie etwa Thesen über eine Wirklichkeit „an sich“) herangezogen werden dürfen.
Curriculum Vitae von Dr. Matthias Wille
- Bis 2002: Philosophie, Mathematik, Geschichte der Medizin (Marburg). Abschluss: M.A.
- 2006: Die Mathematik und das synthetische Apriori (Duisburg-Essen)
- zu Köln
- Allgemeine Wissenschaftstheorie
- Philosophie der Mathematik und Beweistheorie
- Transzendentalphilosophie
- 2003 - 2004: wiss. Mitarbeiter, Inst. f. Phil. in Essen
- 2004 - 2008: wiss. Assistent, Inst. f. Phil. in Essen
- seit 2008: wiss. Mitarbeiter, Inst. f. Ethik in den Lebenswissenschaften in Köln
- Die Mathematik und das synthetische Apriori, mentis 2007
- Beweis und Reflexion, mentis 2008