Sektionsredner
Dr. Hartmut Westermann (Aachen) - Curriculum Vitae
Sprachskepsis und Referenzproblem – Zu Wissenschaftsstatus und Lebensweltbezug der Negativen Theologie
Abstract
Gegenstand des Vortrags sind die notorisch strittigen Fragen nach dem Wissenschaftsstatus und nach dem Lebensweltbezug der Negativen Theologie (im Folgenden: NTh). Zur Klärung der erstgenannten Frage sollen das Begründungs- und das Referenzproblem, zur Klärung der zweitgenannten soll das Praxisproblem der NTh diskutiert werden.
1. Eine systematische Charakterisierung der NTh
In einem systematischen Zugriff, der sich philosophiehistorisch aber leicht an Autoren wie Plotin, Porphyrios, Pseudo-Dionysios Areopagita, Cusanus und Meister Eckhart festmachen lässt, kann die NTh als eine religionsphilosophische Position charakterisiert werden, die sich durch drei Hauptthesen auszeichnet:
- These a ist ontologischen Inhalts und dogmatischer Natur. Sie besagt schlicht, dass Gott existiert.
- These b ist erkenntnistheoretischen Inhalts und skeptischer Natur. Sie besagt, dass die menschliche Kognition nicht zu erfassen vermag, wie Gott existiert.
- These c ist sprachphilosophischen Inhalts und wiederum skeptischer Natur. Sie lautet, dass sich nicht sagen lässt, was Gott ist, sondern allenfalls, was Gott nicht ist.
Diese Charakterisierung erlaubt es, die NTh klar von konkurrierenden Positionen abzugrenzen: Aufgrund von These a unterscheidet sich die NTh vom Atheismus, der die Nicht-Existenz Gottes, aber auch vom Agnostizismus, der weder die Existenz noch die Nicht-Existenz Gottes behauptet. Aufgrund von These b unterscheidet sich die NTh von der natürlichen Theologie, die von der Erkennbarkeit Gottes ausgeht, und aufgrund von These c von der positiven Theologie, die auch affirmative Aussagen über Gott im Grundsatz für zulässig erachtet.
2. Das Begründungsproblem der NTh
Die vorgelegte Charakterisierung verdeutlicht das Begründungsproblem der NTh: Mit welchen Argumenten kann man für These a plädieren, wenn man die Thesen b und c zugleich für wahr hält? M.a.W.: Was spricht für die Existenz Gottes, wenn seine Erkennbarkeit ebenso bestritten wird wie seine Aussagbarkeit? Nur wenn diese Frage überzeugend beantwortet werden kann, darf die NTh als eine konsistente und kohärente Position begriffen werden. Andernfalls wäre ihr zumindest die Kohärenz abzusprechen, was prekäre Konsequenzen für ihren vermeintlichen Wissenschaftsstatus nach sich zöge.
3. Das Referenzproblem der NTh
Auf das Referenzproblem der NTh macht die Uneindeutigkeit von These c aufmerksam. Offensichtlich ist die Behauptung, es lasse sich nicht sagen, was Gott ist, sondern allenfalls, was er nicht ist, interpretationsbedürftig: Eine mögliche Deutung präzisiert These c in dem Sinne, dass sich zwar nicht sagen lässt, was Gott ist, wohl aber, was Gott nicht ist. Demgegenüber präzisiert eine konkurrierende Deutung These c dahingehend, dass sich weder sagen lässt, was Gott ist, noch, was Gott nicht ist. Philosophiehistorisch lassen sich beide Deutungen nachweisen. So finden sich sowohl Vertreter einer moderaten Variante, die wie Pseudo-Dionysios Areopagita negative Aussagen über Gott für zulässig erachten, als auch Vertreter einer radikalen Variante, wonach keinerlei Aussage über Gott zulässig ist – gleichgültig ob ihm Prädikate nun zu- oder abgesprochen werden.
Vertreter der moderaten Variante setzen voraus, dass sie sich sprachlich auf Gott beziehen, dass ihre negierenden Aussagen auf Gott referieren können. Diese Voraussetzung problematisieren Vertreter der radikalen Variante, die wie Cusanus die Inkommensurabilität und Infinität Gottes als Grund anführen, weshalb es unmöglich sei, sich sprachlich auf Gott zu beziehen: Referieren könne man nur auf etwas Bestimm- und so von anderem Unterscheidbares; die Unendlichkeit Gottes verunmögliche aber die Referenz, so dass nicht nur eine Prädikation, die ihm etwas zuschreibe, gleichsam ins Leere laufe, sondern auch jene, die ihm etwas abschreibe.
Allerdings kann diese Problematisierung unschwer mit dem Vorwurf eines performativen Selbstwiderspruchs konfrontiert werden: Denn auch Vertreter der radikalen Variante referieren zur Plausibilisierung ihrer Deutung von These c auf Gott: Um darzulegen, weshalb man Gott weder etwas zu- noch etwas absprechen könne, müssen sie über Gott sprechen; sie beziehen sich also auf etwas, worauf sie sich nach eigener Auskunft gar nicht beziehen können.
An dem Referenzproblem entscheidet sich, ob die NTh mit ihrer Sprachskepsis die eigenen pragmatischen Präsuppositionen unterminiert – was wiederum prekäre Konsequenzen für ihren vermeintlichen Wissenschaftsstatus nach sich zöge.
4. Das Praxisproblem der NTh
Die Frage nach dem Lebensweltbezug der NTh soll abschließend anhand ihres Praxisproblems diskutiert werden. Kritischer Ansatzpunkt hierbei ist die von theologischer Seite nicht selten geäußerte Hoffnung, die NTh könne aufgrund ihrer skeptischen Grundhaltung zur Reduktion überzogener religiöser Geltungsansprüche beitragen, als Korrektiv theologischer Dogmatik fungieren und gleichsam Fundamentalismusprävention betreiben.
Curriculum Vitae von Dr. Hartmut Westermann
- Bis 1995: Philosophie, Germanistik, Katholische Theologie (Freiburg i.Br., Basel, Luzern, Padua). Abschluss: Staatsexamen
- 2000: Die Intention des Dichters und die Zwecke der Interpreten. Zu Theorie und Praxis der Dichterauslegung in den platonischen Dialogen (Freiburg i.Br.)
- RWTH Aachen
- Philosophie der Antike
- Religionsphilosophie
- Philosophie der Renaissance
- Januar 2001 - Oktober 2006: Wiss. Assistent, Dekanatsassistent und Studiengangmanager an der Universität Luzern
- April 2007 - August 2007: Lehrkraft für bes. Aufgaben an der Universität Regensburg
- Oktober 2007: Lehrkraft für bes. Aufgaben an der RWTH Aachen
- Die Intention des Autors und die Zwecke der Interpreten. Zu Theorie und Praxis der Dichterauslegung in den platonischen Dialogen (= Quellen und Studien zur Philosophie Bd.54), Berlin: Walter de Gruyter 2002.
- Philosophische Anthropologie und Lebenskunst. Rainer Marten in der Diskussion, hrsg. von Guido Löhrer, Christian Strub und Hartmut Westermann, München: Fink 2005.
- „Wie disputiert man über das Gute? Lorenzo Vallas De vero bono als Debatte über die richtige Debatte“, in: Jahrbuch Rhetorik 25 (2006), S.30-54.