Sektionsredner
Lieske Voget (Greifswald) - Curriculum Vitae
Der Greifswalder Ansatz starker Nachhaltigkeit als Beitrag im umweltethischen Diskurs?
Abstract
Der folgende Beitrag zielt darauf ab, die Greifswalder Theorie starker Nachhaltigkeit als eine anthropozentrische Position, die sehr weitreichende Forderungen im Umgang mit der Natur begründet, kritisch zu hinterfragen.
Als eine übergreifende Charakterisierung des Begriffs Nachhaltigkeit kann nach wie vor die Definition des WCED von 1987 gelten, welche “sustainable development” beschreibt als „development that meets the needs of the present without compromising the ability of future generations to meet their own needs“(WCED 1987). Nachhaltigkeit fordert in ihrem Kern also intra- und intergenerationelle Gerechtigkeit und stellt damit einen prinzipiell normativen Begriff dar. Um der Normativität des Nachhaltigkeitsbegriffes gerecht zu werden, aber auch die darin liegenden Potentiale erschließen zu können, ist es wichtig, Nachhaltigkeit nicht einfach zu definieren, sondern im Rahmen einer Theorie zu entwickeln, d.h. auf verschiedenen Ebenen argumentativ gerechtfertigte inhaltliche Positionen zu entwickeln. Diesen Anspruch erheben in Deutschland zwei Konzepte, das „Integrative Konzept nachhaltiger Entwicklung“ der Hermann-von-Helmholtz-Gemeinschaft (HGF) und der Greifswalder Ansatz starker Nachhaltigkeit. Während das HGF-Konzept Nachhaltigkeit als Frage nach der „internen Organisation der Gesellschaft unter der selbst gesetzten Idee der Gerechtigkeit“ sehr umfassend definiert, fasst der Greifswalder Ansatz Nachhaltigkeit primär als Frage distributiver Gerechtigkeit im Umgang mit Natur.
Auch wenn die Autoren der Greifswalder Nachhaltigkeitstheorie selbst eine sentientistische Position als überzeugend ansehen, so gehen sie davon aus, dass die Wahl des Grundkonzeptes starker Nachhaltigkeit aus der Position eines „deep anthropocentrism“ gerechtfertigt werden kann, d. h. aus einer anthropozentrischen Position, die sowohl die moralische Berücksichtigung zukünftiger Generationen als auch die Anerkennung axiologisch-eudaimonistischer Argumente einbezieht. Auf dieser Grundlage werden im Rahmen des Greifswalder Ansatzes weitreichende Forderungen bezüglich des Umgangs mit Natur begründet. Sie münden in einer Constant Natural Capital Rule (CNCR), nach der Naturkapital, da es nicht durch andere Kapitalarten substituierbar
ist, konstant gehalten werden soll. Die CNCR Forderung wird weiter operationalisiert in drei Regeln, die fordern, erneuerbare Ressourcen nur in dem Maße zu nutzen, in dem sie sich regenerieren, nicht erneuerbare Ressourcen nur in dem Maße zu nutzen, in dem simultan gleichwertiger Ersatz an regenerierbaren Ressourcen geschaffen wird und Schadstoffemissionen auf ein Maß zu begrenzen, das die Aufnahmekapazität der Umweltmedien nicht überschreitet.
Die beschriebenen Theorie der Nachhaltigkeit versteht sich selbst nicht als eine genuin umweltethische Position, sondern als eine Theorie, die verschiedenen Annahmen aus umfassenden Ethik-Theorien, Gerechtigkeitstheorien und Umweltethik aufgreift und zur Explikation der Idee der Nachhaltigkeit – intra- und intergenerationelle Gerechtigkeit - verwendet. Diese Explikation des Gerechtigkeitsverständnis im Hinblick auf Forderungen bezüglich des Umgangs mit Natur kann durchaus als ein Beitrag zur umweltethischen Diskussion interpretiert werden. Dieser Beitrag ist insbesondere deswegen interessant, weil er die Begründung und Operationalisierung relativ weitreichender Regeln bzw. Pflichten ermöglicht und dabei doch von einer im Vergleich zu physiozentrischen Positionen eher wenig voraussetzungsvollen Grundposition (Deep Anthropcentrism) ausgeht.
Im Greifswalder Ansatz wird bezüglich der intragenerationellen Gerechtigkeit, d.h. der Gerechtigkeit gegenüber anderen heute lebenden Menschen, ein über die basic needs hinausgehenden absoluter Standard gemäß M. Nussbaums Fähigkeitenansatz und bezüglich intergenerationeller Gerechtigkeit, d.h. Gerechtigkeit gegenüber zukünftig lebenden Menschen ein egalitär-komparativer Standard („nicht schlechter als uns“) zugrunde gelegt. Die Begründung der Forderungen bezüglich des Umgangs mit Natur erfolgt im Greifswalder Ansatz weitgehend im Rückgriff auf die intergenrationelle Gerechtigkeit. Der vorliegende Beitrag zielt darauf ab, diese Begründung vor dem Hintergrund der anspruchsvollen intragenerationellen Forderungen näher zu untersuchen. Insbesondere sollen (a) die Konzeptionierung von Nachhaltigkeit als einer Frage ausschließlich distributiver Gerechtigkeit, (b) die Konzeptionierung von Nachhaltigkeit primär als Frage des Umgangs mit Natur, und (c) die Unterscheidung von Standards bezüglich intragenerationeller Gerechtigkeit (absolut) und intergenerationeller Gerechtigkeit (egalitär-komparativ) hinterfragt werden.
Die Auseinandersetzung mit diesen Fragen zielt wesentlich darauf ab, zu klären, ob sich im Rahmen einer Theorie von Nachhaltigkeit die eingangs erwähnten weit reichenden Forderungen bezüglich des Erhalts von Natur(kapital) halten lassen.
Curriculum Vitae von Lieske Voget
- Bis 2005: Landschaftsökologie (Greifswald). Abschluss: Diplom
- Nachhaltige Ernährung? Suffizienz zwischen normativen und eudaimonistischen Fragen am Beispiel des Praxisfeld Ernährung (Greifswald)
- Greifswald
- Ethische Bewertung von landwirtschaftlichen und Ernährungsfragen im Rahmen einer Theorie starker Nachhaltigkeit
- 01.07.2005 - 30.08.2006: Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt "Konkrete Diskurse an Schulen und Hochschulen zum Einsatz moderner Biotechnologie in Medizin und Landwirtschaft" an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürdingen-Geislingen
- 01.10.2006 - 30.06.2008: Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Rat von Sachverständigen für Umweltfragen (SRU)
- Ott, K., Voget, L. (2008): Suffizien: Umweltethik und Lebensstilfragen. Im Erscheinen.