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Professor Dr. Dr. h.c. C.F. Gethmann

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FAQ

Sektionsredner

Asmus Trautsch, M.A. (Berlin)
Die Rolle der Tragödie in der zeitgenössischen Philosophie

Abstract

Sowohl in der Antike als auch in der Moderne hat die Philosophie dem Drama eine herausragende Rolle attestiert. Dabei waren die theatralische Kunst und ihre Textgrundlage nicht allein Gegenstand kunstphilosophischer Erörterungen. Das Theater bot vielmehr bereits im 5. Jahrhundert v. Chr. einen ausgezeichneten Ort für die normative Selbstverständigung der politischen Gemeinschaft. Während philosophische Abhandlungen Wissen argumentativ zu erschliessen versuchten, wurde im Theater ein Handlungszusammenhang vorgeführt, aus dem exemplarisch für das Leben zu lernen sein sollte. Diese didaktisch-pädagogische Rolle, die das leibhaftig vorgeführte Drama nur durch seine ästhetische, die Affekte regulierende Überzeugungskraft einzunehmen vermochte, stand in einer eigentümlichen Spannung zur rational begründeten Ethik und Pädagogik. Insbesondere die Gattung der Tragödie, in der die Protagonisten mit ihrem Lebensentwurf fatal an sich selbst scheitern, stellt für die Philosophie seit Platon ein ethisch-politisches Problem dar, da sie in ästhetisch wirksamer Weise die Differenz von tugendhaftem Handeln und Glück vorführt. So hat Platon die Tragödie als Kunstform auch in seine Konzeption des Staates nicht integrieren wollen, da ihre zum (Mit-)Leiden konditionierende Wirkung für das Leben in der Polis schädlich sei, die ohnehin gegenüber der die Wahrheit oft verfälschenden dichterischen Nachahmung allemal als die „echteste Tragödie“ (Nomoi 817b) zu gelten habe.

Seit der Aufklärung ist von der Dramenpoetologie und der philosophischen Ästhetik versucht worden, den von Platon und Aristoteles eingeführten Gedanken zu begründen, dass die Aufführung einer Tragödie nicht bloß ästhetisch zu erleben, sondern auch als Genese von praktischem Wissen zu begreifen sei. So ist die Geschichte der Dramen- und insbesondere der Tragödientheorie seit Schelling und Hegel von der notorischen Ambivalenz gekennzeichnet, die Tragödie einerseits im Reich autonomer Kunst zu verorten und ihr andererseits die sie vor allen anderen Künsten auszeichnende Kraft zuzusprechen, die individuellen und sozialen Bedingungen komplexer Lebenszusammenhänge erst begreiflich zu machen. Gerade die Tragödie könne ein existentielles Wissen vermitteln, das über jedes partikulare Orientierungswissen hinausführt, indem sie den Sieg der Freiheit als Anerkennung der Notwendigkeit (Schelling) begreifbar mache, vom praktischen Ernst selbst erlöse (Schopenhauer) oder das Leben in einem metaphysischen Trost ästhetisch rechtfertige (Nietzsche). Auch die philosophische Tragödienreflexion nach Nietzsche bleibt dieser Ambivalenz der Tragödie zwischen einer der Praxis enthobenen Kunst und einer dem Leben verpflichteten Quelle von Einsicht verhaftet.

Neuerdings widmet sich die Philosophie erneut intensiver der Tragödie (Nussbaum, Ricoeur, Williams, Cavell, Harris, Schmidt, Roche, Menke u.a.) und versucht, das Verhältnis von dramatischer (performativer) Kunst und ethischer Existenz auszubuchstabieren. Dabei wird diese Analyse nicht selten selbst zu einer Art Vorführung der Dialektik von lebensweltlicher Praxis und ästhetischer Inszenierung. In ihr setzen einige Autoren die idealistische Tradition fort, die in der Tragödie immer auch eine Quelle praktischer Einsicht zu erkennen vermochte, während andere der Intuition Wittgensteins verpflichtet sind, dass aus der Tragödie praktisch nicht zu lernen sei. Es bleibt angesichts des offenbar nicht abnehmenden Gewichtes existentiellen Scheiterns in der Lebenswelt und der Dekonstruktion der Tragödie auf dem Theater seit 1945 zu fragen, welche Art Wissen wenn denn überhaupt die Tragödie zu vermitteln vermag. Ich werde zu zeigen versuchen, dass in der Tat aus der Tragödie etwas zu lernen ist, das in keiner Auskunft, etwa einer Proposition, die von der Bühne herab dem Zuschauer übermittelt wird, bestehen kann, sondern vielmehr aus dem Prozess der Vorführung zu gewinnen ist, in der vorgestellte Zwecke in die Dynamik leiblicher und intersubjektiver Realisierung gelangen. Ein exemplarisch aufgeführter Prozess der (scheiternden) Realisierung von individuell unverzichtbaren Projekten mit und gegen andere erlaubt den Rezipienten dabei, eine vermeintlich passive Zuschauerposition in eine existentielle Selbstreflexion zu verlassen, deren Pointe darin besteht, das Vertrauen gegenüber tradierten Formen praktischen Wissens in der Lebenswelt zu hinterfragen, ohne die Handlungsdynamik mit einem Verlust an motivationaler Energie in einer Haltung praktischer Skepsis aufzuheben. Die Tragödie führt in die Erfahrung der Dialektik des Handelns, ohne aus ihr hinauszuführen.

 

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