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Professor Dr. Dr. h.c. C.F. Gethmann

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FAQ

Sektionsredner

Stefan Tolksdorf, M.A. (Potsdam) - Curriculum Vitae
Formen des Sinnvollen – Sprachphilosophie trifft Sprachentwicklungspsychologie: Wittgenstein und Bruner

Abstract

McDowell hat in Auseinandersetzung mit Dummett wiederholt gegen das Projekt einer vollblütigen Sprachphilosophie argumentiert. Die Schlüsselthese dabei lautet: Vollblütigkeit impliziert einen semantischen Behaviorismus. Hinter dieser Diagnose steht die Annahme, dass Sinnstrukturen auf begrifflich-propositionale Gehalte beschränkt sind. Wenn es wahr wäre, dass außerhalb des Begrifflichen gleichbedeutend mit außerhalb des Sinnbehafteten ist, dann scheitert der Versuch, semantische Eigenschaften unter Bezugnahme auf nicht-semantische Eigenschaften verständlich zu machen. Gemäß dieser Unterstellung setzt McDowell das Ziel der Sprachphilosophie deshalb bescheidender an. Im Zuge seiner Wittgenstein-Interpretation plädiert er für einen semantischen Perzeptivismus: Aus der Teilnehmerperspektive kompetenter Sprachverwender sind Bedeutungen und semantische Muster „brute facts“. Der Philosoph hat lediglich die Aufgabe, Beschreibungen der Art zu liefern: <Mit dem Satz „S“ wird der Gedanke ausgedrückt, dass …>

Ich will dagegen zeigen, dass wir Wittgenstein anders lesen sollten. Hierzu dient mir der Vergleich der Sprachphilosophie Wittgensteins mit der Sprachentwicklungspsychologie Bruners. Drei Punkte soll dieser Vergleich sichtbar machen:

(a) Bruner und Wittgenstein lassen sich in ein erhellendes, wechselseitiges Verstehensverhältnis bringen.

(b) Wittgensteins Spätphilosophie soll in ein interdisziplinäres Gespräch verwickelt werden.

(c) Entgegen quietistischer Interpretationen denke ich, dass es eine Möglichkeit konstruktiver Sprachphilosophie gibt. Diese orientiert sich an feingliedrige Sinnstrukturen und pragmatische Handlungszusammenhänge.

Bekanntermaßen thematisiert McDowell den Erwerbsprozess propositionaler Formen, welcher zu einer Verzauberung der Natur führt, unter dem Begriff des „phänomenologischen Sprungs“. Damit wird nahegelegt, dass sich zu dem Übergang von vorpropositionalen Formen zu begrifflichen Strukturen (philosophisch) nichts weiter sagen lässt. Ich lese Wittgenstein und Bruner dagegen so, als plädierten beide erstens für kontinuierliche Übergänge innerhalb sprachlicher Handlungszusammenhänge, aber eben zweitens auch für eine schrittweise Entwicklung von nicht-sprachlichen Praktiken hin zu einfachen sprachlichen Handlungen. Der Begriff „Sprachspiel“ zeigt einen kontinuierlichen Aufbau von Kompetenzen an. Daraus ist das Bild einer pragmatischen Ordnung zu entnehmen: Um komplexe Handlungsfähigkeiten verstehen zu können, müssen wir eine logische Erwerbsgeschichte erzählen, die ausgehend von basalen Kompetenzen, unter Rückgriff auf geeignete Zwischenglieder, den jeweiligen komplexen Bereich erhellen kann. Beispiele dieser asymmetrischen Abhängigkeit sind: Zweifeln und Lügen setzt eine Praxis des wahrhaftigen Sprechens voraus; Gegenwartssätze gehen Vergangenheitssätzen voraus; epistemische Operatoren modifizieren die von ihnen eingeschlossenen Sätze.

Geschichten dieser Art präsentieren ein bottom up-Modell, das genetische und logische Fragen aufeinander bezieht.

An diesem Punkt bringe ich Bruner ins Spiel. Er fragt, wie der Spracherwerb rekonstruiert werden kann. Dabei setzt er auf zwei Annahmen: Erstens wird die genetische Perspektive Piagets übernommen und dann zweitens um einen sozialen Interaktionismus erweitert. Letzterer spricht von sozialen, vorsprachlichen Handlungszusammenhängen als Voraussetzung für den Spracherwerb. Dieser entspringt also nicht aus dem Nichts. Anhand empirischer Belege wird gezeigt, in wie weit vorsprachliche Intentionalitätsformen und protodialogische Strukturen die These nahe legen, dass das Verhalten der Säuglinge schon sehr früh die Züge einer Zweck-Mittel Beziehung und aktiver Suche aufweist.

Die Annahme, dass Sprache nicht aus dem Nichts entspringt, finden wir auch bei Wittgenstein, der seine einfachen Sprachspiele in einer bereits existierenden Handlungswelt platziert.

Es lassen sich weitere Gemeinsamkeiten benennen. Beide sprechen sich für eine Umkehrung der Reihenfolge Syntax, Semantik und Pragmatik aus. Ebenso wie Wittgenstein sieht Bruner im Spracherwerb ein Hinwachsen in eine Lebensform. Nicht zu vergessen ist die Abweisung der Referenzsemantik, da die zentralen Begriffe (Repräsentation) selbst erst pragmatisch zu rekonstruieren sind.

Das Fazit lautet:

Der Zusammenhang zwischen Sprache und Sinn kann auf zweifache missverstanden werden: Auf der einen Seite steht die Überbewertung der Sprache, auf der anderen deren Geringschätzung. Es kommt darauf an, jene philosophischen Investitionen klar herauszustellen, die nötig sind, um Sprachphilosophie betreiben zu können. Werden diese zu gering angesetzt, d.h. beschränkt auf nicht-bedeutungsvolle und nicht-normative Elemente, dann werden wir sprachliche Höhen nicht erreichen. Wird dagegen bereits am Anfang zuviel investiert, dann enden wir in semantischer Mystifikation. Der Mittelweg präsentiert ein Verständnis von Vollblütigkeit, welches auf Formen des sprachlichen und nicht-sprachlichen Sinns setzt

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Curriculum Vitae von Stefan Tolksdorf, M.A.

Studium:
  • Bis 2006: Philosophie, Politikwissenschaft (Universität Potsdam, TU Berlin). Abschluss: M.A.
Promotion:
  • Wittgenstein und die Quellen des semantischen Antirealismus (Universität Potsdam / TU Berlin)
Derzeitige Universität oder Institution:
  • Potsdam
Forschungsschwerpunkt(e):
  • Sprachphilosophie
  • Wittgenstein
  • Erkenntnistheorie
Berufliche Stationen:
  • 2007: Wissenschaftlicher Mitarbeiter
Wichtigste Publikation(en):
  • Semantik der Vergangenheit in einer rechtfertigungsorientierten Sprachphilosophie
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