Sektionsredner
Priv.-Doz. Dr. Tatjana Schönwälder-Kuntze (München) - Curriculum Vitae
Überlegungen zum Begriff „Corporate Social Responsibility“
Abstract
Der englische Ausdruck ‚Corporate social responsibility’ (CSR) -- also die soziale Verantwortung von Unternehmen im weitesten Sinne -- ist ein Name, der seit Beginn dieses Jahrhunderts in immer größerem Maße verwendet wird, um gesellschaftliches Engagement von Seiten der Unternehmen, das über deren grundsätzliche gesellschaftliche Aufgabe hinausgeht, zu benennen und zu beschreiben.
Dabei zeigen sich ganz unterschiedliche theoretische Weisen, wie mit dieser Benennung umgegangen wird in Bezug auf ihre Applikation, ihre Bedeutung, ihre Anwendung und Funktion. Am häufigsten finden sich in der einschlägigen Literatur Hinweise auf empirische Phänomene und Situationen, die mit CSR benannt werden und auf diese Weise eine Begriffsdefinition vornehmen. Im Vortrag wird es nicht darum gehen, verschiedene methodologische Zugänge darzustellen, und auch nicht darum, das gesamte Forschungsfeld dieses relativ -- oder scheinbar -- neuen Phänomens auszuloten. Stattdessen wird es darum gehen, zunächst Fragen nach dem Ursprung und der theoretischen Verortung des Begriffes ‚Verantwortung’ selbst bzw. ‚responsibility’ zu stellen.
Dazu bedarf es unterschiedlicher Perspektiven, die etwa in beiden Sprachen nach der Etymologie oder der Genealogie dieses Begriffes fragen oder auch nach seiner Theoretisierung innerhalb philosophischer Theoriegebäude. Auch gilt es zu analysieren, in welchem Verhältnis ‚Verantwortung’ bzw. ‚responsibility’ zu anderen tragenden theoretischen Konzepten der Moderne steht, wie beispielsweise zu ‚Freiheit’, ‚Recht’ oder ‚Subjektivität’. Letzteres ist schon deshalb notwendig, weil ‚Verantwortung’/‚responsibility’ etwas benennt, das handlungsleitend funktionalisiert wird sowohl im Sinne einer causa efficiens (Verursacherprinzip) als auch im Sinne einer causa finalis (Leitziel). Darüber hinaus scheint es so, als gäbe es hinsichtlich der Bedeutung dessen, was wir meinen, wenn wir von Verantwortung sprechen, keinerlei Divergenzen, wird doch vor allem im öffentlichen und/oder wissenschaftlichen Diskurs nur über die Bedingungen debattiert, die vorausgesetzt oder formuliert werden müssen, um die sinnvolle Zuschreibung von ‚Verantwortung’ an einen Adressaten oder die Übernahme von ‚Verantwortung’ durch einen Akteur erst zu ermöglichen.
In den philosophischen Theorien des 20. Jahrhunderts finden sich einige Adaptionen des Verantwortungsbegriffes, wie beispielsweise in Max Webers ‚Verantwortungsethik’, die er der Gesinnungsethik gegenüber stellt; in Jean-Paul Sartres ‚Phänomenologischer Ontologie’, in der ‚Verantwortung’ einem Bewusstsein zugeschrieben wird, weil es als „der unbestreitbare Urheber eines Ereignisses oder eines Gegenstandes“ angesehen wird; oder bei Hans Jonas in ‚Prinzip Verantwortung’, in dem eine Erweiterung des Verantwortungsbegriffs über unmittelbare Handlungsfolgen hinaus gefordert wird, weil dies unter den veränderten technischen Bedingungen der Moderne notwendig geworden sei. So betrachtet zeigt sich, dass ‚Verantwortung’ eng mit dem Begriff der Kausalität verknüpft wird, wobei sie nur dann zum Tragen kommt, wenn die Kausalität als ‚Kausalität aus Freiheit’ gedacht wird, wie das beispielsweise in der Kantischen Praktischen Philosophie der Fall ist. Dies führt ihn aber doch zur ‚reinen Gesinnungsethik’ und nicht etwa zu einer Verantwortungsethik, die fordert, für die Folgen des eigenen Tuns ‚Verantwortung zu übernehmen’. Verwendet Kant deshalb in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten nicht ein einziges Mal den Begriff ‚Verantwortung’? Hatte er eine andere Art von Konsequenzen im Sinn als die, an die wir heute denken, wenn wir jemanden oder eine Institution ‚verantwortlich’ nennen?
Der Vortrag hat den Zweck, den Begriff ‚Verantwortung’ seiner scheinbaren Selbstverständlichkeit zu berauben und ihn unter einer der genannten Perspektiven eingehend zu beleuchten, um so eine erste Definition zur Diskussion zu stellen, die über die theoretischen Bedingungen der Zuschreibungsmöglichkeiten von ‚sozialer Verantwortung’ oder ‚social responsibility’ an Unternehmen aufklärt. Dies scheint mir sinnvoll, weil durch die Aufhebung der Unbestimmtheit das Missbrauchspotential eingegrenzt und die Verlässlichkeit erhöht werden kann.
Curriculum Vitae von Priv.-Doz. Dr. Tatjana Schönwälder-Kuntze
- Bis 2000: Philosophie, Logik & Wissenschaftstheorie, Psychologie (LMU München). Abschluss: Dr.phil.
- 1999: Jean-Paul Sartres Ethik: Moralität aus authentischer Autonomie (LMU)
- 2007: Freiheit als Norm? Eine Untersuchung der Theoriebildung in der Moderne (LMU)
- Ludwig-Maximilians-Universität München
- Theoriebildung neuzeitlicher Theorien (von Descartes bis Sartre)
- Praktischen Philosophien und ihre Anwendungsmöglichkeiten
- Kritik als Ontologie unserer selbst (Foucault, Butler u.a.)
- 2001 - 2003: Wiss. Mitarbeiterin
- 2003 - heute: Wiss. Assistentin
- Authentische Freiheit. Zur Begründung einer Ethik nach Sartre. Frankfurt/Main: Campus, 2001
- Störfall Gender. Grenzdiskussionen in und zwischen den Wissenschaften. Wiesbaden: Westdt. Verlag, 2003 (Hrsg. zus. mit S. Heel, C. Wendel, K. Wille).
- George Spencer Brown. Eine Einführung in die Laws of Form. Wiesbaden: VS Verlage, 2004 (zus. mit K. WIlle, T. Hölscher)