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FAQ

Sektionsredner

Jan Müller, M.A. (Stuttgart) - Curriculum Vitae
Ist die Möglichkeit des „Missverstehens“ im lebensweltlichen Sprechen ein philosophisches Problem?

Abstract

Gelegentlich missverstehen wir einander in unseren alltäglichen Reden. Solche Missverständnisse sind uns lebensweltlich bekannt. Insofern wir hinreichend kompetent sind, die Formen und Mittel unseres Sprechens zu reflektieren, wissen wir auch um die situative „Missverständlichkeit“ unserer Reden und tragen ihr - präzisierend und differenzierend - Rechnung.

Darf daraus geschlossen werden, dass das Missverstehen in der höherstufigen begrifflichen (= „philosophischen“) Reflexion und Explikation der Form unseres Sprechens als nachgeordneter Sonderfall gelungenen Verstehens angemessen thematisiert ist? Im Paper soll in drei Schritten entwickelt werden, inwiefern umgekehrt wenigstens auch von einem systematischen Primat des Missverstehen-Könnens her zu argumentieren wäre.

(1) In „analytischer“ wie „kontinentaler“ Sprachphilosophie als Fortführung des phänomenologischen Projekts (M. Dummett) taucht das Missverstehen - pragmatisch angemessen – typischerweise als Problemfall auf. Um Aufschluss über die Form menschlicher „Kommunikation“ als Mitteilen und Teilhabe am Mitgeteilten zu gewinnen, ist es - wie nicht erst J. Austin und J. R. Searles typologische Beschreibung der Struktur und Gelingensbedingungen von Sprachhandlungen zeigen - durchaus sinnvoll, im Missverstehen zunächst eine zu vermeidende Störung der uns umgänglich bekannten Lebenswelt zu sehen. Dass dabei (spätestens mit Searle) das lebensweltlich geläufige Missverstehen wesentlich als Nichtverstehen auftritt, entspricht einerseits prävalierenden subjektphilosophischen Prämissen der Beschreibung: Wer missversteht, versteht wesentlich nicht, was „gemeint war“. Das ist Thema der präsuppositionsanalytischen Kritik J. Derridas: Die Beschreibung lebensweltlichen Sprechens bedient sich sprachlicher Mittel, die die Möglichkeit des Missverstehens aus der Modellierung des Sprechens als Mittelgebrauch zur Übermittlung von Gehalten „ausschließen“. Darin zeigt sich andererseits ein (traditionsbedingter und -stiftender) formalistischer Modus der reflexiven Thematisierung von Sprache und Sprachverwendung.

(2) Die einem solchen „Ausschluss“ des Missverstehens zugrundeliegende methodische Einstellung philosophischer Reflexion ist - mit F. Kambartel - „exakt“. Sie orientiert sich an der Praxis der „exakten“ Wissenschaften und zielt auf die Herstellung von Bedeutungsinvarianzen der sprachlichen Mittel und die Etablierung schematischer Kontrollen mittels formaler Anwendungsregeln. Wird die (im wissenschaftlichen Sprechen getroffene) Unterscheidung von „Wissenschaft“ und „Lebenswelt“ als Aspekten menschlicher Praxis in dieser Einstellung (etwa in der Tradition des methodischen Konstruktivismus und Kulturalismus) so expliziert, dass „Wissenschaft“ als „Hochstilisierung“ lebensweltlicher Praxis (P. Janich) rekonstruiert wird, dann unterläuft die philosophische Reflexion ihren Eigenanspruch. Die unter dem Titelwort „Lebenswelt“ reflektierte, fundamentale Vollzugsdimension empraktischer Tätigkeit kommt nur in der abstrakten Form „exakter“ (sprach)handlungstheoretischer Modellierung in den Blick.

(3) Im Rückgriff auf systematische Vorschläge Hegels, J. Königs und Derridas soll dagegen die Rede vom „Missverstehen“ streng als Anzeige beurteilenden Verhaltens zu einem perfektiv artikulierten Gesprochen-Haben rekonstruiert werden. Die Behandlung eines „Missverstehens“ in Gestalt höherstufiger, generischer Urteile (über das Meinen des „Sprechers“, die Auffassung des „Hörers“ usf.) ist die Form gemeinsamer Arbeit an den Mitteln des Sprechens, die am Missverstanden-Haben als Mittel gegenständlich werden. Es ist die Form der gemeinsamen und tätigen differenzierenden Artikulation sprechender Kooperation, die nur situativ, nicht prinzipiell abgeschlossen sein kann. Missverstehen ist im gemeinsamen mitteilenden Sprechen keine bloße, sondern notwendige Möglichkeit, wenn und insofern gesprochen worden sein soll (Nicht-Verstehen meint, sofern es nicht als (nivellierendes) Urteil aus der Perspektive eines Sprechers auftritt, den Extremfall des Missverstehens). Daraus folgt umgekehrt: gelungenes Verstehen ist je situativ zu begreifen als Produkt einer reflektierenden Arbeit am Missverstehen. Die Explikation dieses logischen Modalgefälles im Rahmen einer Phänomenologie (einer begrifflichen Formreflexion) unseres Sprechens wäre - ausblickend - in zwei Richtungen zu verlängern: erstens mit Blick auf die notwendige Möglichkeit eines nivellierenden Verständnisses (eines Missverstehens) des logischen Status wissenschaftlicher, exakter Rede - mit Konsequenzen für ein sich im selben Sinn als „wissenschaftlich“ verstehendes Philosophieren; und zweitens hinsichtlich der Folgen für die (weder relativistisch noch formalistisch zu verkürzende) Form, in der der Möglichkeit des Missverstehens in praktischer (ethischer und politischer) Hinsicht Rechnung zu tragen wäre.

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Curriculum Vitae von Jan Müller, M.A.

Studium:
  • Bis 2005: Philosophie, Germanistik (Philipps-Universität Marburg). Abschluss: M.A.
Promotion:
  • Arbeiten, Handeln, Wissen. Tätigkeitstheoretische Untersuchungen zu einem dialektischen Arbeitsbegriff. (Marburg)
Derzeitige Universität oder Institution:
  • Stuttgart
Berufliche Stationen:
  • 2006 - 2008: Promotionsstipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes
  • 2008: Studiengangmanager
Wichtigste Publikation(en):
  • (mit Michael Weingarten:) Das dekonstruktive Gespenst der Dialektik. Zum systematischen Verhältnis von Dialogizität und Widerspiegelung. – In: Z. Zeitschr. marx. Erneuerung 62 (2005), S. 136-154.
  • (mit Christian Adam:) Die veröffentlichte Meinung. Das „Menschenbild“ in „Zeit“ und „Spiegel“. In: Janich, Peter (Hrsg.): Humane Orientierungswissenschaft. Was leisten verschiedene Wissenschaftskulturen für das Verständnis menschlicher Lebenswelt? Würzburg: Königshausen u. Neumann [in Vorb., 2008].
  • „… die Grenzen meiner Welt.“ Gibt es eine systematische Einheit in Ernst-Wilhelm Händlers Romanprojekt Grammatik der vollkommenen Klarheit? – In: Hagestedt, Lutz u. Unseld, Joachim (Hrsg.): Literatur als Passion. Zum Werk von Ernst-Wilhelm Händler. Frankfurt/Main: Frankfurter Verlagsanstalt 2006, S. 171-193.
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