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FAQ

Sektionsredner

Tim Kraft, M.A. (Göttingen) - Curriculum Vitae
Lebenswelt und Rechtfertigung: Das Voreinstellungs- und Herausforderungsmodell?

Abstract

In den letzten Jahren wird vermehrt ein Modell der epistemischen Rechtfertigung diskutiert, das seinen Ausgangspunkt bei einer Beschreibung des lebensweltlichen Umgangs mit Wissensansprüchen nimmt: Das Voreinstellungs- und Herausforderungsmodell (default and challenge model) der Rechtfertigung. Vertreten wird dieses Modell unter anderem von Robert Brandom, Michael Williams und Marcus Willaschek. Zentrale These des Modells ist, dass zwischen zwei Weisen unterschieden werden müsse, auf denen eine Meinung gerechtfertigt sein kann. Erwirbt oder hat jemand eine Meinung so befindet sie sich per Voreinstellung in einem positiven epistemischen Status. Sie ist gerechtfertigt unabhängig davon, was der Glaubende über diese Meinung sagen kann. Wird die Meinung jedoch durch einen Einwand herausgefordert, bleibt die Rechtfertigung nur dann erhalten, wenn der Glaubende die Herausforderung beantworten kann. Kurz, Rechtfertigung muss nicht durch das Anführen von Gründen erworben werden; sie muss lediglich gegen Angriffe verteidigt werden.

Dieses Modell gewinnt seine prima facie Plausibilität aus einem Blick auf unseren Umgang mit Wissensansprüchen. Erhebt ein anderer einen Wissensanspruch, so akzeptieren wir dies solange, bis er eine unserer Nachfragen nicht beantworten kann. Zu diesem Vorteil der deskriptiven Adäquatheit tritt noch ein zweiter Vorteil. Das Modell stellt eine bestechend einfache Antwort auf die skeptische Herausforderung bereit. Wenn der Skeptiker fragt „Woher weißt du das?“ oder „Kannst du ausschließen, dass du gerade träumst?“, handele es sich nicht um eine ernstzunehmende Herausforderung. Denn eine Herausforderung müsse nur dann beantwortet werden, wenn sie begründet ist. Herausforderungen brauchen Gründe zum Zweifeln.

In meinem Vortrag möchte ich einige Herausforderungen an das Voreinstellungs- und Herausforderungsmodell formulieren. Es führt entweder zu unplausiblen Konsequenzen oder entpuppt sich als Internalismus in neuen Kleidern.

(1) Konzeptionen des voreingestellten Status. In der Literatur finden sich zwei verschiedene Konzeptionen von „per Voreinstellung gerechtfertigt“. Einige Autoren nehmen an, dass jede Meinung – unabhängig von ihrem Inhalt und egal wie absurd – per Voreinstellung gerechtfertigt sein kann (Williams). Dagegen sprechen jedoch elementare Intuitionen über Rechtfertigung und epistemisches Glück: Es ist irrational, auf die Wahrheit einer Meinung zu vertrauen, bloß weil man sie hat. Andere Autoren nehmen an, dass nur Meinungen, die bestimmte Vorbedingungen erfüllen (Zuverlässigkeit, Orthodoxie etc.), per Voreinstellung gerechtfertigt sein können (Willaschek). Dabei ist es nicht wichtig, ob der Glaubende glaubt, dass die Vorbedingungen erfüllt sind. Es genügt, dass sie erfüllt sind. Hier ist jedoch nicht zu sehen, inwiefern das überhaupt eine Antwort auf das Problem bereit stellt. Zweitens führt diese Modifikation in das Problem des Metawissens. Um zu wissen, dass eine meiner Meinung voreingestellt gerechtfertigt ist, muss ich wissen, ob die Vorbedingungen erfüllt sind. Diese Meinung muss ich entweder begründen oder es handelt sich wiederum um eine voreingestellt gerechtfertigte Meinung. Im zweiten Fall kommt ein Regress ins Laufen. Im ersten Fall verliert das Modell seine Plausibilität. Wir brauchen, ihm zufolge, bestimmte Meinungen nicht begründen, aber wir können nicht wissen, welche das sind, ohne die fragliche Meinung doch zu begründen.

(2) Was ist eigentlich eine Herausforderung? Beschränkt man sich auf tatsächlich oder bedachte Herausforderungen, ist das Modell zu großzügig. An dieser Stelle werden gerne sogenannte stehende Herausforderungen herangezogen. Abgesehen davon, dass es keine befriedigende Explikation dieses Begriffs gibt, ist ein solches Modell zu restriktiv. Nun kann kaum noch eine Meinung per Voreinstellung gerechtfertigt sein.

(3) Warum ist die skeptische Herausforderung nicht ernst zu nehmen? Skeptische Herausforderungen seien nicht ernst zu nehmen, weil sie sich darauf beschränken, eine bloße Irrtumsmöglichkeit vorzustellen. Irrtumsmöglichkeiten seien nur dann relevant, wenn etwas für ihr Vorliegen spricht. Tatsächlich werden jedoch, wie Beispiele aus Wissenschaftsgeschichte und Rechtsprechung zeigen, Herausforderungen akzeptiert, die bloße Möglichkeiten präsentieren.

(4) Die Wichtigkeit von Gründen. Um deskriptiv adäquat zu sein, muss der Unterschied zwischen z.B. Wahrnehmungsmeinungen (für die es schwierig ist, Gründe anzuführen) und z.B. mathematische Meinungen (für die Beweise essentiell sind) erklärt werden. Worin auch immer der Unterschied bestehen mag, er besteht nicht darin, dass die einen Meinungen voreingestellt gerechtfertigt sind, die anderen jedoch nicht.

Ich werde mit einem Vorschlag zur Güte enden. Einiges am Voreinstellungs- und Herausforderungsmodell ist in der Tat intuitiv. Aber es handelt sich eigentlich gar nicht um ein Modell von Rechtfertigung. Es ist lediglich ein Modell von epistemischer Verantwortung.

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Curriculum Vitae von Tim Kraft, M.A.

Studium:
  • Bis 2004: Philosophie, Mathematik, VWL (Göttingen, St Andrews). Abschluss: M.A.
Promotion:
  • Die normative Kraft sprachlicher Bedeutung - Eine Verteidigung (Göttingen)
Derzeitige Universität oder Institution:
  • Göttingen
Forschungsschwerpunkt(e):
  • Sprachphilosophie
  • Erkenntnistheorie
  • Wittgensteins Spätphilosophie
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