Sektionsredner
Dr. Uljana Feest (Berlin) - Curriculum Vitae
Was genau wird eigentlich stabilisiert, wenn Phänomene stabilisiert werden?
Abstract
In der alltäglichen Verwendungsweise des Begriffs vom Phänomen werden Phänomene zumeist gleichgesetzt mit der Idee des unproblematisch Beobachtbaren. Außerdem geht der traditionelle Phänomenbegriff mit der Idee einher, dass das auf diese Weise Beobachtbare eine phänomenale Qualität hat. Zuletzt ist die Annahme nahe liegend, dass die so verstandenen Phänomene die Explananda wissenschaftlicher Bemühungen sind.
Innerhalb der Wissenschaftstheorie der vergangenen 60 Jahr sind verschiedene Aspekte der eben umrissenen Annahmen hinterfragt worden. Zunächst ist natürlich seit den Arbeiten von Kuhn, Quine und Hanson die Theorie/Beobachtungsunterscheidung hoch umstritten. Zweitens wies Ian Hacking darauf hin, dass viele Phänomene im Forschungsprozess allererst hergestellt werden (Hacking 1983). Drittens wurde im Zuge der philosophischen Beschäftigung mit experimenteller Forschung darauf hingewiesen, dass im Labor Daten produziert werden, die als solche (im Gegensatz zu Phänomenen) nicht die Explananda wissenschaftlicher Bemühungen darstellen (z.B. Bogen & Woodward 1988).
Die Verschiebung der Bedeutung des Phänomenbegriffs hat prima facie eine gewisse Plausibilität, da sie die Redeweise vieler Wissenschaftler einzufangen scheint, wenn sie von ihren Forschungsgegenständen als „Phänomenen“ sprechen. Dennoch ist der Phänomenbegriff, besonders im Verhältnis zum Begriff der Daten, in der wissenschaftstheoretischen Literatur umstritten. Entgegen der Annahme von Bogen und Woodward (1988), dass es sich bei Phänomenen um stabile Merkmale der Welt handelt, argumentiert etwa McAllister (1997) gegen die Idee des forscherunabhängigen Status von Phänomenen, und Glymour (2000) vertritt die Ansicht, dass die Unterscheidung von Daten und Phänomenen keinerlei forschungsrelevante Unterscheidung trifft.
In meinem Vortrag werde ich argumentieren, dass (a) die Frage nach der Forscherunabhängigkeit von Phänomenen falsch gestellt ist und (b) dass die Unterscheidung zwischen Daten und Phänomenen sehr wohl forschungsrelevant ist, jedoch einer Präzisierung bedarf.
Im ersten Teil betrachte ich die Behauptung, dass der von Bogen und Woodward in Anschlag gebrachte Begriff des forscherunabhängigen Phänomens „inkohärent“ sei (McAllister). Ich unterscheide zwischen einer metaphysischen und einer epistemologischen Lesart der Rede von der Realität forscherunabhängiger Phänomene und zeige, dass Bogen und Woodward zwar für letztere Unabhängigkeit argumentieren, dieses Argument jedoch nicht für die Unterscheidung zwischen Daten und Phänomenen benötigen.
Im zweiten Teil unterscheide ich zwischen (a) Phänomenen und (b) Begriffen als die Resultate der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Phänomenen. Erstere sind forscherunabhängig, letztere nicht. Hier ist McAllisters Argument relevant, dass Begriffe auf der Basis von Datenmustern gebildet werden, von denen es prinzipiell unendlich viele gibt. Dies weist auf zwei wichtige philosophische Themen hin: (i) Um überhaupt untersucht werden zu können, müssen Phänomene konzeptualisiert werden. (ii) Manche Konzeptualisierungen erscheinen uns als natürlicher als andere (vgl. Goodmann 1955). Im Rahmen einer naturalistischen Wissenschaftstheorie stellt sich daher die Frage, wie Wissenschaftler zu bestimmten stabilen wissenschaftlichen Begriffen gelangen.
Im dritten Teil meines Vortrags zeige ich, dass Aspekte dieser Fragestellung in der Literatur unter dem mehrdeutigen Schlagwort der „Stabilisierung von Phänomenen“ behandelt worden sind. Während in der Folge von Hacking (1883) häufig von der Produktion von Phänomenen im Labor die Rede ist, argumentiere ich, dass diese Redeweise auf zweierlei Weise qualifiziert werden muss: Erstens werden im Labor keine Phänomene produziert, sondern allenfalls Instanziierungen von Phänomenen. Zweitens können solche Instanziierungen nur als solche klassifiziert werden, wenn sie unter einem Begriff subsumiert werden. Die Daten/Phänomen-Dichotomie weist auf einen wichtigen Aspekt wissenschaftlicher Praxis hin, aber die relevante Unterscheidung ist nicht eine zwischen (beobachtbaren) Datenmustern und (unbeobachtbaren) Phänomenen, sondern zwischen Datensätzen und Begriffen von Phänomenen.
Literatur
Bogen, James & James Woodward (1988), „Saving the Phenomena“. The Philosophical Review, XCVII(3), 303-352.
Franklin, Allan (1993), „The Epistemology of Experiment“. In D. Gooding, T. Pinch & S. Schaffer (eds.): The Uses of Experiment. Cambridge University Press.
Glymour, Bruce (2000), „Data and Phenomena: A Distinction Reconsidered”. Erkenntnis 52, 29-37.
Goodman, Nelson (1955), Fact, Fiction, and Forecast.: Harvard University Press
Hacking, Ian (1983), Representing and Intervening. Cambridge University Press.
McAllister, James (1997), „Phenomena and Patterns in Data Sets“. Erkenntnis 47, 217-228.
Shapere, Dudley
Woodward, Jim (1989), „Data and Phenomena“. Synthese 79, 393-472.
Curriculum Vitae von Dr. Uljana Feest
- Bis 1994: Psychologie, Philosophie (Goethe Universität Frankfurt, University of Bristol, University of Pittsburgh). Abschluss: Diplom
- 2003: Operationism, Experimentation, and Concept Formation (Pittsburgh)
- TU Berlin
- Wissenschaftstheorie, Epistemologie des Experiments
- Geschichte der Wissenschaftstheorie des 20. Jahrhunderts
- Geschichte und Theorie der Humanwissenschaften
- 2003 - 2004: Post-doc, MPIWG Berlin
- 2004 - 2006: Wissenschaftliche Mitarbeiterin, MPIWG Berlin
- 2006: Forschungsdozentur, TU Berlin
- - Feest, U. (2003): “Functional Analysis and the Autonomy of Psychology.” Philosophy of Science, Vol. 70. No. 5, December 2003, 937-948
- - Feest, U. (2005): “Operationism in Psychology - What the Debate is About, What the Debate Should Be About”. Journal for the History of the Behavioral Sciences, XLI(2), 131-150.
- - Feest, U. (2007): “Science and Experience – Science of Experience: Gestalt Psychology and the Anti-Metaphysical Project of the Aufbau”. Perspectives on Science 15 (1), 38-62.