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Professor Dr. Dr. h.c. C.F. Gethmann

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FAQ

Sektionsredner

Priv.-Doz. Dr. Gerhard Ernst (München) - Curriculum Vitae
Toleranz und/oder Relativismus

Abstract

Einer populären Vorstellung zufolge liegt dem politisch so wichtigen Gebot der Toleranz eine relativistische Auffassung von Moral zugrunde. Demgegenüber ist es geradezu ein Gemeinplatz der professionellen Philosophie, dass die Forderung nach Toleranz nicht etwa auf den Relativismus angewiesen, sondern mit diesem unvereinbar ist. In diesem Vortrag möchte ich die populäre Vorstellung verteidigen und den philosophischen Gemeinplatz in Frage stellen: In einem ersten Schritt beschreibe ich die drei bekannten Formen von Relativismus: den deskriptiven, den metaethischen und den normativen Relativismus. Es zeigt sich schnell, dass sowohl der deskriptive als auch der metaethische Relativismus unabhängig von der Toleranzforderung sind, da es sich bei dieser um eine normative These handelt, während jene keine normative Thesen umfassen. Insoweit basiert die Toleranzforderung weder auf dem Relativismus noch ist sie mit ihm unvereinbar. Im zweiten Schritt argumentiere ich dafür, dass ein vulgärer normativer Relativismus inkonsistent ist. Sobald man jedoch zu einer konsistenten Formulierung des normativen Relativismus übergeht, ergibt sich Raum für die Integration einer Toleranzforderung. Diese folgt zwar nicht direkt aus dem Relativismus, ist aber mit ihm vereinbar und sogar naheliegend. Im Folgenden soll die Argumentation des zweiten Schrittes kurz skizziert werden.

Wie jeder normative Ethiker behauptet der normative Relativist etwas darüber, was zu tun richtig oder falsch ist. Und seine These ist jedenfalls insofern universell, als sie für alle Personen und alle Handlungssituationen festlegen soll, was zu tun richtig oder falsch ist. Ein vulgärer normativer Relativist würde etwa den folgenden RELATIVISTISCHEN GRUNDSATZ vertreten:

Für Person P in Handlungssituation H ist es stets richtig, das zu tun, was den Normen entspricht, die in der Kultur/Zeit/Gruppe etc., der P angehört, akzeptiert werden.

Diese Position ist jedoch potentiell inkonsistent, wenn man das folgende – im Vortrag genauer zu begründende – universelle SYMMETRIEPRINZIP beachtet:

Wenn Person A objektiv betrachtet richtigerweise eine Person B der Handlung H aussetzt, dann lässt sich Person B objektiv betrachtet richtigerweise dieser Handlung H aussetzen. (Es ist objektiv betrachtet niemals richtig, jemandem etwas anzutun, was diese Person sich richtigerweise nicht antun lässt.)

Der Widerspruch ergibt sich dann so: Nehmen wir an, es gehört zu den Normen einer Kultur, dass man alle Menschen zum Christentum bekehren muss, zu den Normen einer anderen Kultur, dass man sich nicht zum Christentum bekehren lassen darf. Soll nach Ansicht des Relativisten Person A aus der ersten Kultur Person B aus der zweiten Kultur zum Christentum bekehren oder nicht? Einerseits gilt: 1. Norm in Kultur von Person A: Es ist richtig, alle Menschen (also auch Person B) zum Christentum zu bekehren. 2. Relativistischer Grundsatz. 3. Also: Es ist richtig für Person A, Person B zum Christentum zu bekehren. Andererseits gilt: 1. Norm in Kultur von Person B: Es ist nicht richtig, sich zum Christentum bekehren zu lassen. 2. Relativistischer Grundsatz. 3. Also (aus 1. und 2.): Es ist nicht richtig für Person B, sich zum Christentum bekehren zu lassen. 4. Norm in Kultur von Person A: Symmetrieprinzip. 5. Relativistischer Grundsatz. 6. Also (aus 4. und 5.): Es ist nicht richtig für Person A, Person B etwas anzutun, was B sich richtigerweise nicht antun lässt. 7. Also (aus 3. und 6.): Es ist nicht richtig für Person A, Person B zum Christentum zu bekehren.

Der konsistente Relativist muss daher seinen Grundsatz einschränken:

Für Person P in Handlungssituation H ist es stets richtig, das zu tun, was den Normen entspricht, die in der Kultur/Zeit/Gruppe etc., der P angehört, akzeptiert werden, sofern das damit vereinbar ist, dass alle Personen den Normen folgen, die in ihrer Kultur/Zeit/Gruppe etc. akzeptiert werden.

Alle Normen einer Kultur/..., die Handlungen fordern, welche in Konflikt mit den Normen anderer Kulturen/... kommen, werden hier aufgehoben. Damit entsteht notwendigerweise eine Regelungslücke, so dass jede konsistente relativistische Sichtweise offen für die Ergänzung durch ein Toleranzgebot ist. Tatsächlich besteht hier sogar eine offensichtliche Affinität: Wenn man es für richtig hält, dass jeder den Normen der je eigenen Kultur folgt, dann ist es naheliegend, Regelungslücken so zu schließen, dass möglichst viele Menschen möglichst weitgehend den Normen der eigenen Kultur folgen können. Genau das soll ein Toleranzgebot sicherstellen. Ein konsistenter normativer Relativismus ist daher nicht nur mit der Toleranzforderung vereinbar, sondern sogar „toleranzaffin“ – im Einklang mit der populären Sichtweise.

Ernst, G.: „Normativer und metaethischer Relativismus“, in: ders. (Hrsg.): Moralischer Relativismus, in Vorb.

Scanlon, T.: What We Owe to Each Other, Cambridge/MA, 2000, Kap. 8.

Wong, D.: Natural Moralities. A Defense of Pluralistic Relativism, Oxford, 2006.

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Curriculum Vitae von Priv.-Doz. Dr. Gerhard Ernst

Studium:
  • Bis 1995: Philosophie, Logik und Wissenschaftstheorie, Physik (Uni Kaiserslautern, HfP München, LMU München). Abschluss: Dipl.-Phys.
Promotion:
  • 2001: Das Problem des Wissens (LMU München)
Habilitation:
  • 2004: Die Natur der Moral (LMU München)
Derzeitige Universität oder Institution:
  • LMU München
Forschungsschwerpunkt(e):
  • Moralphilosophie
  • Erkenntnistheorie
  • Wissenschaftstheorie
Berufliche Stationen:
  • 2001 - 2004: Wiss. Assistent
  • 2004 - heute: Oberassistent
  • 2005 - 2007: versch. Vertretungsprofessuren
Wichtigste Publikation(en):
  • Die Objektivität der Moral, Paderborn, 2008
  • Das Problem des Wissens, Paderborn, 2002
  • Die Zunahme der Entropie, Paderborn, 2003
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