Sektionsredner
Dr. Stefan Deines (Frankfurt am Main) - Curriculum Vitae
Mechanismen „revolutionärer“ kultureller Transformation in Wissenschaft, Lebenswelt und Politik nach Kuhn und Rorty
Abstract
In dem Vortrag sollen spezifische Mechanismen und Strategien kulturellen Wandels dargestellt und diskutiert werden, wie sie sich im Anschluss an Thomas Kuhn und Richard Rorty modellieren lassen. Ausgangspunkt ist dabei die Kuhn’sche Differenzierung von ‚normaler‘ und ‚revolutionärer Wissenschaft‘, wie sie in Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen vorgenommen wird, und die von Rorty in Der Spiegel der Natur mit den Begriffen des ‚normalen‘ und des ‚revolutionären Diskurses‘ auch auf andere Bereiche des kulturellen Lebens, auf Kunst, Geistes-wissenschaften, Geschichtsschreibung, Moral und Politik ausgeweitet wird.
Von besonderem Interesse sind dabei die Mechanismen und Strategien in den Phasen der Revolution, da sich hier eine weitreichende Wandlung der kulturellen Verhältnisse vollzieht. Dieser revolutionäre Wandel wird durch Praktiken initiiert, die ein Moment des Irrationalen umfassen, da sie nicht den jeweils herrschenden diskursiven Regeln, disziplinären Konventionen und sozialen Normen gehorchen. Rorty konstatiert deshalb, dass man mit der ‚Sinnlosigkeit liebäugeln’ müsse, wenn man es darauf abgesehen hat, einen Wandel der ge-sellschaftlichen Realität herbeizuführen, und dass es notwendig sei, kreativen Sprach-missbrauch zu betreiben, bedeutungslose Metaphern zu erfinden und (noch) sinnlose Sätze ins Spiel zu bringen, um die verschiedenen Bereiche der kulturelle Welt in Bewegung zu bringen.
Im Hinblick auf dieses ‚Lob der Irrationalität‘ und der kreativen, transformativen und grenzüberschreitenden Praktiken sollen im Rahmen des Vortrags drei Fragen näher diskutiert werden. Zum einen die Frage, wie sich die Praktiken des Irrationalen genau verstehen lassen: Welche Formen können sie annehmen, in welcher Weise initiieren sie genau den Wandel und in welchen Situationen bzw. aus welchen Gründen empfiehlt es sich für die Akteure, nicht rational und normenkonform, sondern eben irrational und normentrans-formierend zu handeln? Daran schließt sich die Frage an, wie das Verhältnis von Rationalität und irrationalen Praktiken zu konzeptualisieren ist: Stehen sich die beiden Bereiche unver-söhnlich gegenüber oder lassen sich die Praktiken des Irrationalen in die Rationalität ein-betten, da ihnen möglicherweise Zwecke und Funktionen zugeschrieben werden können, die auch im Licht der Vernunft zu begrüßen sind? Darüber hinaus soll geklärt werden, ob sich bezüglich der Formen und Funktionen der revolutionär transformierenden Praktiken spezifische Differenzen in Bezug auf die verschiedenen kulturellen Bereiche feststellen lassen, ob sich also ihre jeweiligen Anlässe, Ausformungen und Wirkungs-weisen unterscheiden, je nachdem ob sie in den Wissenschaften, den Künsten oder dem Bereich des sozialen Zusammenlebens angesiedelt sind. In besonderer Weise soll in diesem Zusammenhang die Frage erörtert werden, ob und inwieweit die Praktiken des Irrationalen ein Mittel des Wandels politischer und ethischer Verhältnisse und damit auch ein effektives Werkzeug von ‚Kritik‘ darstellen können.
Curriculum Vitae von Dr. Stefan Deines
- Bis 2000: Philosophie, Germanistik, Soziologie (Gießen). Abschluss: Magister
- Goethe Universität Frankfurt am Main
- Kritische Theorie
- Hermeneutik
- Ästhetik und Literaturtheorie
- 7/2003 - 10/2004: Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Philosopie der Liebig-Universität Gießen
- ab 10/2004: Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Philosophie der Goethe-Universität Frankfurt am Main
- Historisierte Subjekte – Subjektivierte Historie. Zur Verfügbarkeit und Unverfügbarkeit von Geschichte. Herausgegeben von Stefan Deines, Stephan Jaeger & Ansgar Nünning. Berlin, New York: de Gruyter 2003.
- „Verletzende Anerkennung. Über das Verhältnis von Anerkennung, Subjektkonstitution und ‚sozialer Gewalt’“ In: Steffen Kitty Hermann, Sybille Krämer & Hannes Kuch (Hg.): Verletzende Worte. Die Grammatik sozialer Missachtung. Berlin: Transcript 2007, 275-294.
- „Explizit-Machen explizit gemacht. Über einen zentralen Begriff in der Sprachphilosophie Robert Brandoms.“ (Zusammen mit Jasper Liptow.) In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 1/2007, 59-78.