Sektionsredner
Simon Deichsel, M.A. (Bremen) - Curriculum Vitae
Friedman und Laudan als Wegbereiter einer pragmatischen Wende in der Theorieevaluation
Abstract
Theorieevaluation steht seit gut zwei Jahrzehnten nicht mehr im Zentrum der wissenschaftstheoretischen Diskussion. Andere Fragestellungen, wie z.B. die nach der Charakterisierung wissenschaftlicher Gesetze oder der Natur wissenschaftlicher Erklärung, sind in den Vordergrund gerückt. Während es sicherlich gute Gründe für diese Interessenverschiebung gab und die eben erwähnten Themen lange Zeit unterrepräsentiert waren, ist Theorieevaluation immer noch das, was praktizierende Wissenschaftler von der Wissenschaftstheorie erwarten. Nun hat sich unter Wissenschaftstheoretikern heutzutage die Ansicht durchgesetzt, dass sowohl der logische Empirismus, als auch der Falsifikationismus weder eine adäquate Rekonstruktion des wissenschaftlichen Fortschritts liefern können, noch sonderlich hilfreich als Anleitung für laufende Forschung sind. Während der Phase der postmodernen Kritik, die der Blütezeit des logischen Empirismus und Falsifikationismus ab den achtziger Jahren folgte, versuchten die Wissenschaftstheoretiker nicht, dieses Defizit aufzuheben, sie attackierten im Gegenteil das Ziel der Theorieevaluation insgesamt als unerreichbar und auch als überhaupt nicht wünschenswert.
In meinem Beitrag werde ich nicht auf die langandauernde Debatte zwischen postmodernen Relativisten und ihren eher positivistisch gesinnten Gegnern eingehen, sondern direkt versuchen, einen pragmatischen Ausweg aus dem Dilemma zu präsentieren. Der Vortrag wird mit kurzen Reflektionen darüber enden, wie eine normative Rolle für die Wissenschaftstheorie auch nach der postmodernen Kritik gerechtfertigt werden kann.
Selbst nach über 50 Jahren ist Friedmans methodologischer Aufsatz immer noch der Klassiker unter den methodologischen Schriften für Ökonomen schlechthin. Für sie ist er weiterhin die einzige methodologische Schrift, die eine einigermaßen große Verbreitung und Anerkennung erlangt hat; von den meisten Philosophen wird er jedoch als inkonsistent, ungenau und falsch abgelehnt. Ich werde mit einer pragmatischen Reinterpretation von Friedmans Aufsatz zeigen, warum die philosophische Kritik an diesem Aufsatz seinen eigentlichen Kern verfehlt. Friedman behauptet nämlich entgegen der üblichen Annahme weder, dass falsche Annahmen ein Vorteil für eine Theorie seien, noch schließt er Erklärung als ein Ziel für die Wissenschaft aus. Er fordert vielmehr, „mit wenig viel zu erklären“ – ein Ziel, das auch heutzutage von Wissenschaftstheoretikern durchaus akzeptiert wird. Nach dieser Neuinterpretation werde ich zeigen, wie gut Friedmans Ansatz zu Larry Laudans Methodologie passt und warum beide einen Ausweg aus dem Relativismus eröffnen, ohne dabei zu den fundamentalistischen Sünden der positivistischen Ansätze zurückfallen zu müssen. Bei Friedman und Laudan ist die grundlegende Idee, die dies ermöglicht, die Problemabhängigkeit von Theorien wirklich ernst zu nehmen. Dadurch können viele Schwierigkeiten der positivistischen Ansätze wie Inkommensurabilität, Theoriegeladenheit und Unterdeterminierung überwunden werden.
Von der Neuinterpretation Friedmans und Larry Laudans Ansatz ausgehend werde ich zeigen, dass der nächste logische Schritt für die Evaluation ökonomischer Modelle die Untersuchung ebendieser Modelle mit wiederum ökonomischen Methoden ist. Dazu werde ich kurz das allgemeine Konzept der ökonomischen Wissenschaftstheorie darstellen und argumentieren, dass dieses Konzept die konsequente Fortführung von Friedmans und Laudans Ansatz ist. Auch wenn es zunächst erstaunlich klingen mag, eignet sich die ökonomische Wissenschaftstheorie sehr gut dafür, wirtschaftswissenschaftliche Modelle kritisch zu diskutieren. Schwierig wird es dagegen bei der Bewertung von sehr abstrakter Grundlagenforschung, doch diese Schwierigkeit teilt sich der ökonomische Ansatz in der Wissenschaftstheorie mit allen anderen mir bekannten Konzepten.
Nach diesen Ausführungen möchte ich kurz darstellen, wie Wissenschaftstheorie heutzutage eine normative Rolle einnehmen kann: Sie muss sich auf die Standards einlassen, die praktizierende Wissenschaftler in ihrer Arbeit anwenden und kann dann in einen kritischen Dialog mit ihnen treten. Dabei sollte sich die Wissenschaftstheorie nicht anmaßen, von einem „Gottesstandpunkt“ aus Theorien bewerten zu können, sondern sollte vielmehr versuchen, den Wissenschaftlern einen für sie nützlichen Blick von außen zu liefern.
Curriculum Vitae von Simon Deichsel, M.A.
- Bis 2006: Philosophy&Economics (Bayreuth). Abschluss: Master
- 2009: The Usefulness of Truth - An Enquiry Concerning Economic Modelling (Bremen)
- Bremen
- Wissenschaftstheorie der Ökonomik
- Vertragstheorien
- Analytische Ethik
- 2006 - 2009: Wissenschaftlicher Mitarbeiter
- 2007 - "Wissenskulturen - Was kann die ökonomische Theorie der Standards beitragen?" in: Sandkühler/Stekeler-Weithöfer: Repräsentation und Wissenskulturen, Peter Lang Verlag.