Sektionsredner
Dr. Wolf-Jürgen Cramm (Zürich, CH) - Curriculum Vitae
Warum der Determinismus für unser Freiheitsverständnis irrelevant ist
Abstract
›Inkompatibilistische‹ Positionen gehen davon aus, dass ein für Formen personaler Zurechenbarkeit relevanter Freiheitsbegriff seine Grundlage verlöre, wenn Personen und ihr Tun nichts anderes als Teil eines determinierten Naturverlaufs wären. ›Kompatibilistische‹ Positionen halten dem entgegen, dass gerade ein indeterminierter Naturverlauf kein für personale Zurechenbarkeit relevantes Freiheitsverständnis begründen könne, da Handlungen und ihre Folgen von Akteuren dann nicht kontrollierbar wären.
Obwohl zu Recht darauf hingewiesen wurde, dass die kompatibilistische Argumentation daran krankt, die fragliche Vereinbarkeit mit einem inadäquaten Verständnis unserer moralischen und juristischen Begrifflichkeit bzw. Praxis zu erkaufen, bleibt doch unklar, wie Willensfreiheit durch die Annahme indeterminierter Vorgänge – etwa im Gehirn (so R. Kane) – positiv begründbar sein soll. Ich werde dafür argumentieren, dass Fragen, die sich im Hinblick auf Willens- oder Handlungsfreiheit sinnvoller Weise stellen können, nicht von der Wahrheit oder Falschheit des Determinismus abhängen können. Zwar halte ich den Determinismus für eine metaphysische Präsupposition unseres Umgehens mit bzw. Erklärens von raum-zeitlichen Dingen und Ereignissen. Doch dies ist kein Widerspruch.
Wir gehen davon aus, dass jedes Ereignis in dem Sinne notwendig eintritt, als es unter denselben Umständen immer wieder eintreten würde. Auch die Rede von real immer gegebenen ›Überlagerungen‹ und ›Störeinflüssen‹, die – nicht zu Unrecht – gegen eine auf der Annahme wahrer ausnahmeloser Sukzessionsgesetze beruhenden Begründung des Determinismus angeführt werden (N. Cartwright, G. Keil), setzt eine durchgehende Kausalität von Ereignissen voraus. Aber es handelt sich eben um eine metaphysische Präsupposition, die sich schon deshalb nicht als wahr erweisen lässt, weil (genau) dieselben Umstände im tatsächlichen Lauf der Dinge nicht eintreten können.
Zwar ist die Erkennbarkeit probabilistischer Zusammenhänge zwischen Ereignistypen eine notwendige Bedingung der Zurechenbarkeit von Handlungsfolgen. Für Fragen der Willensfreiheit kommt es jedoch nicht darauf an, ob wir etwa in der Lage sind, quantentheoretischen Phänomenen eine plausible deterministische Interpretation zu geben. Wenn der Determinismus, wie ich behaupte, für die Widerlegung der Willensfreiheit irrelevant ist, dann auch für ihre Begründung. Für die Frage, ob etwas mit freiem Willen getan wurde, kommt es allein darauf ankommt, ob das Subjekt des Tuns eine Person ist. Damit ist (mindestens) gemeint, dass das Subjekt (1.) an seine leibliche Existenz gebundene Interessen hat und (2.) die Fähigkeit besitzt, praktisch bindende Entscheidungen zu treffen, die aus einer rationalen Abwägung von (potentiell) intersubjektiv rechtfertigungsbedürftigen Gründen resultieren. Davon unterscheide ich die speziellere Frage, ob jemand aus freiem Willen oder freiwillig, also ohne Nötigung oder äußeren Zwang, gehandelt hat. Erstere Bedingungen sind für die Frage der Verantwortbarkeit im Sinne der Zuschreibung des Personen- und Handlungsstatus relevant, letztere dagegen für die Frage der Verantwortlichkeit im Sinne konkreter Schuld- oder Verdienstzuschreibung.
Was mit Verantwortbarkeit tatsächlich unvereinbar ist, ist nicht der Determinismus, sondern vielmehr eine Sichtweise der Welt im Sinne eines unverfügbaren Geschehens (unter das auch indeterminierte Phänomene fallen würden). Diese Unvereinbarkeit der Sichtweisen der Verantwortbarkeit und der Geschehnishaftigkeit verstehe ich als kategorial, dass heißt, dass Aussagen, die wir sinnvoll im begrifflichen Rahmen einer dieser Sichtweisen machen, nicht in einem rational entscheidungsfähigen Widerspruch zu Aussagen stehen können, die wir sinnvoll im jeweils anderen Rahmen machen können. Und aus dieser Unvereinbarkeit hilft uns auch kein ›interventionistischer‹ Kausalbegriff heraus, solange man zugestehen muss, dass die Handlungsgebundenheit des Kausalbegriffs nichts daran ändert, dass die Bedingungen der Möglichkeit von Kausalität – und damit auch: Intervention in den Naturverlauf – letztlich unverfügbar bleiben.
Auf der Grundlage dieser Überlegungen will ich schließlich dafür argumentieren, dass Handlungen zwar als kausale Eingriffe in den Naturverlauf verstanden werden können, nicht aber als Teil von ihm. Für den Begriff der Handlung oder des ›Willensaktes‹ ist die Sichtweise der Verantwortbarkeit primär, und aus dieser sind sie gerade keine Geschehnisse im Naturverlauf, sei dieser nun determiniert oder nicht. Eine Handlungsentscheidung legt unter anderem fest, wie und aus welchen Gründen man handeln will (welche Gründe ›handlungswirksam‹ werden sollen). Aber Entscheidungen vermitteln oder erzeugen keine Verursachungsbeziehung zwischen Token von Gründen und Handlungen – schon deshalb nicht, weil Gründe und Entscheidungen selbst keine kausalen Ereignisse bzw. Geschehnisse sind –, sondern schaffen eine normative Beziehung im Sinne einer verantwortlichen Selbstbindung.
Curriculum Vitae von Dr. Wolf-Jürgen Cramm
- Bis 1993: Philosophie, Soziologie, Politikwissenschaften (Konstanz, Frankfurt am Main). Abschluss: MA
- 2003: Repräsentation oder Verständigung? - Eine Kritik naturalistischer Theorien der Bedeutung und des Geistes (J. W. Goethe/ Frankfurt am Main)
- ETH Zürich
- Philosophie der Sprache und des Geistes
- Erkenntnistheorie
- Handlungstheorie
- 1994 - 2000: Behindertenbetreuung
- 2001 - 2008: Wissenschaftlicher Mitarbeiter/Assistent
- 'In welchem Sinne sind Rationalität und Bedeutung normativ?', in: Dt. Z. f. Phil., Berlin 1/2005, 111-130.
- 'Wahrheit, epistemische rechtfertigung und transhumane Welt', in: W. Kellerwessel/W.-J. Cramm/D. Krause/H.-K .Kupfer (Hg.), Diskurs und Reflexion, Würzburg 2005
- Der Ort der Vernunft in einer natürlichen Welt, hrsg. zus. mit Geert Keil, Weilerswist 2008