Kontakt: Universität Duisburg-Essen, Institut für Philosophie, Stichwort: Kongress 2008, Universitätsstr. 12, 45117 Essen - Tel.: 0201/183-3486, E-Mail: infodgphil2008.de
Sektionsredner

Eine Auflistung der Sektionsredner finden Sie in alphabetischer Sortierung unter nachfolgendem Link


Verzeichnis der Sektionsredner

Download Programm

Unter folgendem Link können Sie sich das Gesamtprogramm als PDF (1 MB) herunterladen: Download PDF.

Kontakt

Professor Dr. Dr. h.c. C.F. Gethmann

Institut für Philosophie
Stichwort: Kongress 2008
Universität Duisburg-Essen
Universitätsstr. 12
45117 Essen

Häufig gestellte Fragen

Sollten Sie Fragen haben, schicken Sie eine E-Mail an info dgphil2008.de. Möglicherweise finden Sie auch bei den häufig gestellten Fragen eine Antwort.


FAQ

Sektionsredner

Christine Bratu, M.A. (München)
Der lebensweltliche Kontext des Politischen – oder: Wie das Konzept der Lebenswelt den Anhänger des antiperfektionstischen Liberalismus vor einer Persönlichkeitsstörung bewahrt

Abstract

In der politischen Philosophie ist der Liberalismus eine Denkschule, deren Familienähnlichkeit sich m.E. auf der Ebene des Argumentationsziels findet: Denn alle Liberale sprechen sich für einen Staat aus, der die Freiheit seiner Bürger, ihr Leben nach ihren partikularen Vorstellungen des guten Lebens zu gestalten, respektiert, indem er ihnen mehr oder weniger umfangreiche Freiheitsrechte eingeräumt – sowohl gegenüber dem Staat selbst als auch gegenüber ihren Mitbürgern. Doch seit dem 20. Jahrhundert verändert sich die Art und Weise, wie dieses Ziel begründet wird:

(1) Klassischerweise wird dafür mit den Nachweis argumentiert, dass Freiheit objektiv wertvoll bzw. geboten ist, so dass ein Staat, der sie respektiert, das Richtige tut – wobei die verschiedenen Anhänger dieses Argumentationsstrangs sich darin unterscheiden, warum sie Freiheit für objektiv geboten erachten. Diese Rechtfertigungsstrategie wird als perfektionistische bezeichnet – denn es ist die Tatsache, dass der liberal verfasste Staat die objektiv gebotene Norm der Freiheit durchsetzt (lateinisch: perficere), die ihn legitimiert.

(2) Antiperfektionistische Liberale (ApL) führen dagegen erkenntnistheoretische Erwägungen über die Begründbarkeit von Vorstellungen des guten Lebens als Argument ins Feld. Nach dieser Theorie gilt, dass zwar der einzelne Akteur subjektiv in einer bestimmten Vorstellung vom guten Leben gerechtfertigt sein kann, dass aber diese Vorstellungen objektiv nicht zu rechtfertigen sind. Daraus folgt, dass sich zwar der Einzelne nicht als irrational (d.h. als jemand, der sich in seinem Handeln nicht von Gründen leiten lässt) betrachten muss, wenn er seine Vorstellung des guten Lebens für sich umzusetzt – denn für ihn gibt es ja subjektiv gute Gründe, die für diese sprechen – dass er aber dennoch davon absehen wird, vom Staat die Durchsetzung seiner Theorie des Guten gegenüber all seinen Mitbürgern einzuklagen, weil er weiß, dass objektiv nichts für diese spricht.

Diese Argumentation macht es dem Anhänger des perfektionistischen Liberalismus einfach: Er muss nicht einmal aufzeigen, was objektiv für Freiheit spricht – sondern nur darauf hinweisen, dass sein antiperfektionistischer Widerpart die eigenen Anhänger in eine Art Persönlichkeitsstörung treibt. Denn wie soll man (ohne eine gespaltene Persönlichkeit zu entwickeln) sowohl davon überzeugt sein, dass gute Gründe für die eigene Vorstellung vom Guten sprechen – zudem aber wissen, dass die angeführten Gründe keine objektive Rechtfertigung dieser Vorstellung leisten? Vom ersten Teil dieser Konjunktion überzeugt zu sein, scheint die Möglichkeit, auch deren zweiten Teil für richtig zu erachten, auszuschließen und vice versa. V.a. aber riskiert der ApL, mit seiner Überlegung ein wichtiges erkenntnistheoretisches Argument obsolet zu machen: Denn wenn es möglich ist, sowohl zu erkennen, dass die eigene Theorie des Guten objektiv keinen epistemologischen Vorrang vor konkurrierenden Vorstellungen hat, zugleich aber an ihr festzuhalten, dann muss auch die skeptische Hypothese ihre Plausibilität verlieren. Der Descartes’sche Dämon entwickelt seine Kraft nämlich nur dann, wenn wir nicht dazu in der Lage sind, an unserem Wissen über die Welt festzuhalten, wenn wir erkannt haben, dass wie keine besseren Gründe für dieses Wissen haben als für die Vorstellung, von einem genius malignus getäuscht zu werden.

Doch die Erkenntnistheorie liefert m.E. auch den Weg zur Lösung der Schwierigkeiten des ApL. Denn mit dem Kontextualismus wird dort ein Ansatz diskutiert, der die Annahme, dass eine Überzeugung sowohl gut begründet als auch haltlos erscheinen kann, ohne jede Persönlichkeitsspaltung denkmöglich macht: Ob eine Überzeugung gut begründet ist oder nicht, hängt nämlich nach dieser Theorie von dem Kontext ab, in dem sie geäußert wird – so dass sich eine Person bewusst sein kann, dass ihre Überzeugung A in Kontext1 gerechtfertigt, in Kontext2 dagegen unbegründbar ist, ohne damit ihr Überzeugungsystem inkohärent zu machen.

In meinem Vortrag möchte ich den ApL mit Hilfe dieser erkenntnistheoretischen Überlegung plausibilisieren. Dafür muss ein Unterschied zwischen den Kontexten, in denen Theorien des Guten vorgebracht werden können, herausgearbeitet werden – v.a. zwischen dem der privaten Lebenswelt einer einzelnen Person und der politischen Lebenswelt. Dies wird möglich, versteht man den Staat als Unternehmen zur gemeinschaftlichen Kooperation. Denn um stabil zu sein erfordert Kooperation, dass jeder Beteiligte einen intrinsischen Grund dafür hat, diese aufrechtzuerhalten; da sie also allgemein überzeugen müssen, müssen die Gründe, die für diese gemeinschaftliche Unternehmung angeführt werden, besonders strengen Begründungsmaßstäben gerecht werden. In seiner privaten Lebenswelt ist der Einzelne dagegen nicht darauf angewiesen, dass jeder all seine Handlungen befürwortet, so dass es ausreicht, wenn die Theorie des Guten, an welcher er sein Privatleben ausrichtet, laxeren Begründungsstandards genügt.

  • nach oben
  • zum Kalender